Der Löwenmensch ist eine der ältesten Menschendarstellungen der Welt, und die älteste Mensch-Tier-Gestalt. Sie wurde im Jahre 1939 im Hohlenstein-Stadel (7427/04) bei Asselfingen, Alb-Donau-Kreis, gefunden. Das Original ist im Ulmer Museum zu sehen, und ist 31,1 cm hoch, 5,6 cm breit und 5,9 cm dick. Sie wurde mit Feuersteinwerkzeugen aus Mammut-Elfenbein geschnitzt. Die gebogene Form eines Mammutstoßzahns erklärt auch die gebogene Form der Statuette. Die Figur zeigt eine stehende Person, die sowohl menschliche als auch tierische Züge aufweist. Der menschliche Körper hat den Kopf eines Höhlenlöwen (Panthera spelaea) und wahrscheinlich Pfoten als Hände. Die Arme hängen einfach nach unten, das war aber durch die Form des Stoßzahns auch nicht anders möglich.
Ihr Alter wurde durch die
C14-Altersbestimmung
von Begleitfunden auf zwischen 35.000 und 41.000 Jahren eingegrenzt.
Diese Zeit wird nach dem Abri von Aurignac (Haute-Garonne, Frankreich), in dem zum ersten Mal Funde aus dieser Epoche gemacht wurden, Aurignacién (43,000-26,000 BP) genannt.
Sie wird auch als Jungpaläolithikum bezeichnet.
Im Jahre 1937 begannen im Stadel systematische archäologische Ausgrabungen durch Prof. Robert Wetzel, sie endeten jedoch abrupt mit Beginn des Zweiten Weltkriegs. Die Figur wurde in unzähligen Einzelteilen am 25-AUG-1939, am letzten Grabungstag von Otto Völzing im Beisein von Robert Wetzel gefunden. Otto Völzing hatte seinen Einberufungsbefehl für den folgenden Tag. Die über 200 Elfenbeistückchen waren nicht als Figur erkennbar, sie wurden aufbewahrt, weil einige Bearbeitungsspuren aufwiesen. Auch wurden bei weitem nicht alle Bruchstücke gefunden, auch wenn anzunehmen ist, dass diejenigen die zusammen aufgefunden wurden auch alle mitgenommen wurden. Anzunehmen ist, dass die Figur vermutlich bevor sie von jüngeren Sedimenten bedeckt wurde und so geschützt war, an der Oberfläche Zerstörung und Transport ausgesetzt war. Der Aushub blieb in der Höhle, oder wurde sogar in die Gräben zurück verbracht. Das gewonnene Fundgut wurde provisorisch und wissenschaftlich unbearbeitet eingelagert, und zwar im Magazin des Ulmer Museums. Hier überstand es den Zweiten Weltkrieg unbeschadet, wurde aber für Jahrzehnte vergessen. Prof. Wetzel nahm die Ausgrabungen im Stadel einige Jahre nach dem Krieg wieder auf, und führte sie bis 1961 fort. Die vielen Elfenbeinfragmente hatte er jedoch nicht als wertvoll erkannt und längst vergessen.
Wesentlichen Anteil an der Wiederentdeckung des Löwenmenschen hatte der Tübinger Urgeschichtler Prof. Dr. Joachim Hahn. 1969 sichtete er das Fundgut im Rahmen von Inventarisierungsarbeiten und wurde auf die in Bruchstücke zerfallene Figur aufmerksam. Er setzte die fast 200 Bruchstücke zu einer vollplastischen Figur zusammen. Erst dadurch wurde erstmals erkennbar, dass die Figur eine aufrecht stehende Person darstellt, die sowohl menschliche als auch tierische Merkmale zeigt. Der Körper trägt den Kopf eines Höhlenlöwen. Hahn deutete sie als eines der wenigen Zeugnisse der mythisch-religiösen Vorstellungen des Menschen der Altsteinzeit. Das kommt nicht von ungefähr, Malereien mit Menschenfiguren mit Tierattributen sind zwar selten, wurden aber in französischen und spanischen Höhlen mehrfach gefunden. Sie werden als Schamanen in einem Ritual interpretiert, entweder umd das Glück bei der Jagd zu verbessern oder um tierische Schutzgeister anzurufen. Natürlich sind auch die bekannten Legenden der amerikanischen Indianer zum Thema Totemtier in diese Modelle eingeflossen, auch Hahn hatte sicherlich Karl May gelesen.
1982 wurde die Figur von Elisabeth Schmid komplett neu wissenschaftlich bearbeitet. Weitere Elfenbeinfragmente der ursprünglichen Grabung konnten in die Figur integriert werden. Einige waren 1974 und 1975 von Spaziergängern in der Höhle gefunden worden. Andere wurden bei der Auflösung des Arbeitszimmers von Robert Wetzel an der Universität Tübingen gefunden. Vor allem der Kopf und der linke Arm wurde dabei komplettiert. Dadurch hat sich das Aussehen deutlich gewandelt. Joachim Hahn hatte die Figur als männlich betrachtet und bezeichnete sie als Löwenmann. Elisabeth Schmid kam zu dem Schluss, dass es sich um die Figur einer Frau mit dem Kopf einer Höhlenlöwin handele und bezeichnete sie als Löwenfrau. Insgesamt kann man aber wohl sagen, dass für beide Ansichten keine ausreichenden Belege existieren, sodass es sich eigentlich um eine ideologisch gefärbte Auseinandersetzung handelt. Wir haben uns deshalb, wie allgemein üblich, auf den geschlechtsneutralen Namen Löwenmensch zurückgezogen.
Während der 30er Jahre wurde in der Archäologie noch nicht so akribisch die Fundsituation erfasst wie das heute der Fall ist, und so war der genaue Fundort des Löwenmenschen unbekannt. Das Landesamt für Denkmalpflege führte 2009 unter Leitung von Claus-Joachim Kind im Hohlenstein-Stadel Ausgrabungen durch. In diesem Zusammenhang wurde die Fundstelle wiederentdeckt und weitere Bruchstücke gefunden. Von 2011 bis 2013 wurde eine archäologische Grabung in den Abraumhaufen der ersten Grabung von 1939 durchgeführt. Dabei wurde eine Vielzahl von Funden gemacht, unter anderem etwa 1,000 Fragmente aus Elfenbein, von denen viele wiederum zu dieser Figur gehören. Die Figur wurde mit Röntgen-Computertomographie digitalisiert, ebenso wie die neuen Bruchstücke, und das digitale Modell virtuell wieder zusammengesetzt. 2013 wurde die Figur aus dem Museum entfernt und der Klebstoff und die Füllungen aus Bienenwachs wurden entfernt. Danach wurde die Figur unter Verwendung von über 300 Teilen neu zusammengesetzt. Das Ergebnis hat nicht nur einen Arm, sondern zwei.
Der erste Eindruck ist der einer menschlichen Figur. Der Löwenkopf, die prankenartigen Hände und die eher unförmige Füße sind jedoch eigentlich die eines Löwen. Die Proportionen des Körpers sind verzerrt, was natürlich in erster Linien auf die Form des Stoßzahns zurückzuführen ist. Und so gab es auch Ansätze, dass die Figur als leicht missglückte Darstellung eines Löwen gedeutet werden könnten. Doch diese Interpretation konnte sich nicht durchsetzen. Die Figur ist den Höhlenmalereien von Schamanen, die aus dem Magdalénien Südfrankreichs bekannt sind viel zu ähnlich. Bei diesen besteht der Körper oft aus verschiedenen Tieren, nur die tanzenden Beine sind menschlich. Die seltsame Beinhaltung lässt an rituelle Tänze denken, aber dennoch ist das nur eine Vermutung.
Wir haben Bilder von älteren Restaurierungen, diese sind von oben nach unten chronologisch angeordnet. Das zeigt recht eindrücklich die Verbesserung der Rekonstruktion über Jahrzehnte mühevoller Arbeit. Der beste Platz um die Figur zu sehen, ist natürlich das Ulmer Museum, hier wird das Original ausgestellt. Kopien der Figur werden in vielen Museen auf der ganzen Welt ausgestellt.
1937 | systematische Ausgrabungen im Hohlenstein-Stadel durch Prof. Robert Wetzel. |
25-AUG-1939 | entdeckt von dem Geologen Otto Völzing und Prof. Robert Wetzel am letzten Tag der Ausgrabung. |
1961 | letzte Ausgrabung von Prof. Robert Wetzel. |
1969 | Joachim Hahn findet mehr als 200 Teile und setzt sie zu einer 31 cm großen Figur eines Menschen mit Löwenkopf zusammen. |
1982 | Nach der Entdeckung weiterer Fragmente aus der ursprünglichen Ausgrabung erstellt Elisabeth Schmid eine völlig neue Rekonstruktion. |