Reise durch alle Teile des königreiches Griechenland in Auftrag der königl. griechischen Regierung in den Jahren 1834 bis 1837

K.G. Fiedler

2 Bände., Leipzig 1841


Es war Abend und wir begaben uns nach Sillaka, was nicht weit von hier entfernt ist. Der dortige Democheronte nahm mich freundlich bei sich auf und wollte, ich sollte mich nun von dem beschwerlichen Tage ausruhen, allein ich eilte bei der unbeständigen Witterung die wichtigsten Untersuchungen zu beendigen, erfrischte mich mit Speis' und Trank und besuchte noch heute die dort befindliche Höhle Kalafidg, was ja eben so gut bei Nacht geschehen kann, denn es scheint ja weder Sonn' noch Mond hinein. Mein guter Hausherr warnte mich sehr vor dieser Höhle, denn niemand kenne ihr Ende und wer es erreiche, kehre nie wieder zurück; er liess sich nicht abhalten mich mit einer grossen Laterne bis zur Höhle zu geleiten, die sich bei dem Dorfe Sillaka selbst befindet.

Die Höhle Kalafidg auf Thermia.

Sie liegt ungefähr 1300 p, Fuss über der Meeresfläche, also in dem höhern Theile der Insel. Am Eingange der Höhle steht grauer, krystallinisch-körniger Kalkstein in starken Bänken zu Tage, er streicht h. 11 und fällt 70° in West und ist mit Glimmerschiefer gleichförmig gelagert, bedeckt. In diesem Kalkstein setzt ein Rotheisensteingang auf, er durchschneidet die Kalkbänke gegen Süd in ihrem Streichen und fällt ziemlich seiger. Zur Seite des Einganges ist im Gestein eine kleine Votivnische ausgehauen, in welcher wohl einst die schützende Gottheit der Höhle stand. Dieser Gang ist von den Alten mit einem Stolin einige Lr. weit ausgehauen worden, dann zertrümmert er sich und es öffnet sich eine grosse Höhle, die weiter hin noch grösser wird, und ihrer Hauptrichtung nach sich wie der Gang nach Süden erstreckt. Jener Gang, nachdem er sich einige Lachter weit vom Eingange zertrümmert hat, setzt als ein breiter Gangzug fort, der Kalkstein ist in der Richtung des Ganges durch eine Menge mehr oder weniger seigere Gangschnürchen durchschnitten. Diese sind so stark wie Doppelpapier, bis zu £ Zoll Dicke, enthalten Rotheisenstein, Brauneisenstein und Eisenocher, welche sich von dem Kalk scharf trennen, oder die Kluftflächen überziehen.

Der Kalkstein ist parallel seiner Lagerung mit nah unter einander liegenden Lagen gelben Eisenochers verwachsen, wodurch er an seinen abgewitterten Aussenflächen ein gestreiftes Ansehen bekommen hat, was durch den Schatten bei Feuerschein am bemerklichsten ist.

Die Bildung dieser Höhle ist viel interessanter als die aller der mir in Griechenland bekannt gewordenen Höhlen. Von dem grössern Räume, der sich lang hin nach Süden erstreckt, gehen zu beiden Seiten eine Unzahl schmaler Schluchten, besonders auf der westlichen Seite, rechtwinklig ab. Dringt man nun in einer solchen Schlucht vor, so wird sie bald so schmal, dass man nicht weiter kann, sie hat dann nur J Lr. (10 Zoll) Breite, ist aber über 3 Lr. hoch und setzt mit dieser Breite so weit fort, dass man ihr Ende bei Fackelschein nicht sehen kann. Alle diese Schluchten münden in die grosse Höhle, die sich, wie gesagt, ihrer Hauptlängenrichtung nach, gegen Süden erstreckt; sie erweitern sich meistens ein Stück bevor, ehe sie die Haupthöhle erreichen. Der Kalkstein sieht wie von Fluthen abgespült aus.

In der Erlangung der Haupthöhle fort kommt man an entgegenstehende Kalkwände, südwestlich führen die Seitenschluchten zu etwas grössern Räumen wie in dem bisherigen westlichen vordem Theil der Höhle. In einer kleinen Vertiefung sammelt sich hier ein wenig abtropfendes Wasser.

Stalactiten hat die Höhle nirgends, dieses beweist, dass die obern Kalkbänke gut decken und dass die Höhle also nur in einem gewissen Theile des Kalksteins gebildet ist, welcher übrigens regelmässig geschichtet ist und sonst keine Höhlen und Schlottenbildung zeigt. Die Temperatur war im entferntesten Theile der Höhle R. An der östlichen Seite der Haupthöhle befinden sich einige grosse Seitenhöhlen, von denen aus ebenfalls schmale hohe Schluchten rechtwinklig abgehen, aber nicht so ausgezeichnet wie im westlichen Theile.

Der Boden der Haupthöhle und der Seitenhöhlen ist hoch mit feiner gelblich-brauner pulverförmiger Erde bedeckt. Ich liess an 3 Orten, in Seitenhöhlen, die ich für günstig hielt, niedergraben, um zu sehen, ob sich Knochen antediluvianischer Thiere fänden, an 2 Stellen kamen wir bis auf das Gestein, fanden aber nichts, am 3ten Platze konnte bei 1 Lr. Tiefe der Boden nicht erreicht werden und die Arbeit wurde in der staubigen Erde zn beschwerlich.

Unweit des Einganges sind vom Kirchhof eine Menge Menschen-Schädel in eine der vordem östlichen Seitenhöhlen geworfen, ich werde in der Folge von diesem Gebrauch der Neu-Griechen sprechen.

In dem Bericht der Expedit, scientif. de Moree ist hinsichtlich der Bildung dieser merkwürdigen Höhle gesagt: Sie möge wohl der Ausfluss eines unterirdischen Stromes gewesen sein. Doch ist sie grad in ihrem Hintergrunde am meisten geschlossen und dann müsste das Wasser aus den rechtwinklig in die Haupthöhle mündenden Seitenschluchten eingeströmt sein, deren Seitenwände freilich wie von heftig bewegtem Wasser abgespült zu sein scheinen.

Weiter in jenem Berichte heisst es: Jene Spalten seien wohl durch unterirdische Emporhebungen gebildet, in denen oft flusssaures oder schwefelsaures Gas entwich und so durch die Länge der Zeit den Felsen veränderte. Allein bei Emporhebimg würde die bis zum drüberliegenden Schiefer nicht mehr mächtige Dicke von Kalkstein auch geborsten sein, sie ist aber sehr gleichförmig und zusammenhängend übergelagert. Eine dritte Hypothese zu geben, müsste erst die Höhle ganz speciell in allen ihren Theilen untersucht werden, vielleicht gelingt es dann ein sich der Wahrheit näherndes Resultat aufstellen zu können.

Es war Mitternacht, als ich die Höhle verliess, und wäre nicht die Ermüdung des Tages bei mir und meinen Leuten wiedergekehrt, ich hätte mich noch nicht trennen können von der wunderbaren Höhle.

Der gute Democheronte war sehr in Sorge um uns und hatte einen Boten abgesandt, der uns weislich am Ausgang erwartete, denn in der Höhle war es still und finster und lebendig Treiben nicht zu hören, bis matter Schimmer und dumpfe Stimmen unsre Rückkehr ihm verkündeten und er uns wenigstens mit der grossen Laterne nach Hause leuchten konnte.