Sagen

Die Auffindung des Erzberges

Wenn man dem Lauf des Erzbaches talwärts folgt, gelangt man dort, wo der Abfluß des Leopoldsteiner Sees herabrauscht, in einer engen Talschlucht hart an der Straße zu einer grottenartigen Vertiefung im Felsen, aus der dem Wanderer ein unheimlich dunkler Wasserspiegel entgegenblickt. Hier soll es gewesen sein, wo vor vielen tausend Jahren, zu König Davids Zeiten, öfter eine sonderbare Menschengestalt aus der Höhlenflut auftauchte, um sich an der Sonne zu wärmen. Den Bergbewohnern war das seltsame Wesen, das einen schuppigen Fischleib hatte, wiederholt zu Gesicht gekommen. Sie hielten es für einen Wassermann und beschlossen, es bei nächster Gelegenheit zu fangen. Da sie fürchteten, der schlüpfrige Körper der Gestalt würde ihren Händen entgleiten, beschmierten sie einen alten Mantel mit Pech, warfen ihn dem im Schlaf überraschten Männlein über den Körper und hielten es fest. Sodann fesselten sie es an Armen und Beinen und gaben ihm zu Essen und zu Trinken, bis der Kleine, von dem ungewohnten Genuß betäubt, an eine Leine gebunden, mit ihnen talwärts ging.

Als sie aber zu der Stelle gelangten, wo man zum ersten Mal den Erzberg sieht, wurde das Männchen widerspenstig und weigerte sich weiterzugehen. Es sträubte sich mit aller Kraft gegen seine Führer, geriet in Zorn und verlegte sich, als alles nichts nützte, auf Bitten und Betteln; schließlich bot es den Bergbewohnern einen hohen Lohn für seine Freilassung an.

»Laß hören, was du uns bieten kannst!« meinten die Männer.

Da sagte der Kleine: »So wählt euch selber aus, was ihr wollt. Ich kann euch Goldminen ein Jahr geben, Silberminen auf zehn Jahre oder Eisenminen auf immer. Aber wählet gut!«

Ohne lange zu zögern, riefen die Männer: »Gib uns Eisenminen für immer!«

»Ihr habt gut gewählt«, erwiderte der Wassermann; »seht, dort steht der Berg, der euch Eisenmetall für eine Ewigkeit spenden wird; verwendet es gut zu eurem und eurer Nachkommen Glück und Segen!« Bei diesen Worten wies er auf den nahen massigen Erzberg.

Da gedachten die Männer zuerst die Ergiebigkeit des Berges zu erproben und erst dann das Männlein in Freiheit zu setzen, wann sie sich von der Wahrheit seiner Worte überzeugt hätten.

Ein halbes Jahr lang bauten sie den Berg ab, an dessen Hängen das rötliche Eisenerz offen zutage lag. Und wirklich, nach dieser Zeit hatten sie so viel reichhaltiges Erz gewonnen, dass sie erkannten, das Männlein habe die Wahrheit gesprochen. Nun säumten sie nicht länger, dem Wassermann die Freiheit wiederzugeben. Sie brachten den Wassermann zu der Höhle, neben der sie ihn gefangen hatten, und versenkten ihn wieder in das dunkle Wasser der Höhle. Da bebten die Felsen ringsumher, das schwarze Gewässer farbte sich blutrot, und eine höhnische Stimme erscholl aus der Tiefe: »Um das Beste habt ihr zu fragen vergessen: um den Karfunkelstein und die Bedeutung des Kreuzes in der Nuß.« Was das Männlein damit sagen wollte, ist ein Rätsel geblieben. Man meint, dass der Karfunkelstein für die Bergleute das beste und sicherste Grubenlicht sei, das Kreuz in der Nuß aber mit der Verwendung des Kompasses im Bergwerk zusammenhängt.

Der Wassermann zeigte sich von da an nicht mehr, weder in der Grotte noch im Leopoldsteiner See. Der Erzberg aber ist zum ewigen Segen für das ganze Land geworden.